Barcelona – die vegane Kulturmetropole

Barcelona ist der Mittelpunkt und die Blüte der autonomen Gemeinschaft Kataloniens. Ein historisch geprägter südländischer Lebensstil trifft hier auf eine der modernsten Kulturszenen Europas. Der geschichtliche und kulturelle Hintergrund der Stadt macht sie zum beliebten Reiseziel für Touristen. Warum diese Stadt aber gerade für Veganer interessant ist, warum die Matadoren (die Schlächter) der Stadt arbeitslos sind und was der bekannteste Architekt Europas auf dem Teller hatte, dokumentieren wir im Veganmagazin Reisebericht.

Barcelona vegan Report

Die Katalanen – zwischen Kultur und Moderne

Offiziell gehört Barcelona zum Königreich Spanien. Aus kulturhistorischer Sicht aber ist Barcelona die Hauptstadt Kataloniens, einer der 17 autonomen Gemeinschaften Spaniens. Mit einem eigenen politischen Autonomiestatus versehen, identifizieren sich die Katalanen als eigenständige Kulturnation mit eigener Sprache (Katalanisch).

Dieses, von den Katalanen in Ehren gehaltene, nationale Selbstverständnis, und der Stolz auf diese kulturhistorische Besonderheit, lässt sich in Form der katalanischen Flagge oder dem Enthusiasmus für den berühmten FC Barcelona überall in der Stadt finden. Doch ist dies kein ausschließendes Nationalitätsbewusstsein, welches sich abschottet und vorurteilsbelastet alles Neue und Fremde abstößt. Die Katalanen schaffen den Balanceakt zwischen dem Erhalt des authentischen katalanischen Geistes und der fortschrittlich integrativen Weltmetropole. Die Hafenstadt Barcelona ist berühmt für seine vorurteilsfreie Ausländerfreundlichkeit, schafft es aber trotzdem seine eigene uralte Identität zu bewahren.

Katalonien Flagge

Der jahrhundertwährende Kampf für die Unabhängigkeit Kataloniens ist auch heute noch spürbar. So blicken andere Länder neidvoll auf eine historische Wahlbeteiligung von 77,44% bei der Parlamentswahl in Katalonien im Jahr 2015, welche die separatistischen Parteien (also jene, die für die Unabhängigkeit Kataloniens antreten) für sich gewannen.

Auch in Hinblick auf gesellschaftlich-soziale Errungenschaften ist Barcelona ein Pionier unter den europäischen Städten. Hier ist eine der größten LGTB-Communitys anzutreffen, denn die soziale Bewegung für die Rechte von Homosexuellen ist in Barcelona besonders aktiv. Auch die Tatsache, dass hier schon im Jahr 2005 gleichgeschlechtliche Ehen stattfanden, spricht für den integrativen modernen Geist dieser Stadt. Da wundert es nicht, dass Barcelona auch ein Anlaufpunkt für die Tierrechtsbewegung in Spanien und dem veganen Lebensstil geworden ist.

Die Magie in den Gassen der Stadt

Vegan Barcelona

Flaniert man durch die Straßen der Stadt, kommt sie einem vor wie ein riesiges nie schlafendes Lebewesen. Die Ramblas, lange und mit Touristen überschwemmte Einkaufsmeilen, ziehen sich durch die Stadt wie eine Art stützendes Skelett. Viel sehenswürdiger jedoch ist das Labyrinth aus unzähligen engen Gassen in der Altstadt, die sich wie Adern ihren Weg durch fünfstöckige Häuserschluchten bahnen, in denen das echte, authentische Barcelona seinen Charme versprüht. Hier entdeckt man die Seele und Persönlichkeit dieser Stadt, die sich seit mehr als 1000 Jahren kaum verändert hat.

Wer die Augen und Ohren offen hält, wird zwangsläufig von der Musik zahlreicher Künstler mitgerissen, die sich auf den öffentlichen Plätzen oder in geräumigen Häusergassen treffen, um mit ihren Talenten die Tradition spanischer Folklore aufrechtzuerhalten. Die Musik und der Tanz gehört, so wie die Sonne, frisches Essen und ein guter Wermut für die Katalanen zu den Grundlagen eines guten Lebens. Mit etwas Glück trifft man an einem Sonntagnachmittag eine Gruppe ausgelassener Tänzer zum gemeinsamen Swing im Parc de la Ciutadella und es überkommt einem das Gefühl, dass diese ansteckende Lebensfreude der Grund ist, warum, so sagt die Statistik, acht von zehn Barcelonern glücklich in ihrer Stadt sind.

Wenn die Sonne sich am Abend langsam zwischen verschwenderischen Jugendstilfassaden in Richtung Erde bewegt, ist es, als würde die Stadt ein letztes Mal tief einatmen, um jetzt im warmen Licht der Straßenlaternen ein neues frisches Gesicht aufzulegen.

Noch in den späten Abendstunden spielen die Kinder in den Straßen fangen und sausen mit ihren Rollern munter an einem vorbei. Eltern mit vollgepackten Einkaufstüten lassen den Abend mit einem Glas Wein in einen der vielen kleinen Bars ausklingen, während zwei verliebte Männer unverblümt Händchen haltend an einem vorbei schlendern. Niemand hier scheint sich an der späten Urzeit zu stören, solange der Abend angenehm warm ist. Auf den gut belebten Plätzen der Stadt tobt Leben und schallt Gelächter, denn man verbringt hier jede freie Minute im freien und vergisst dabei die Zeit.

Antoni Gaudis Geheimnis

Antoni Gaudi ist einer der berühmtesten europäischen Architekten und auf der ganzen Welt bekannt für seine Interpretation des Jugendstils – dem Modernisme Català. Kaum ein anderer Architekt hat eine ganze Stadt so geprägt wie er. Zahlreiche Gebäude und Parks des katalanischen Architekten lassen sich in Barcelona bewundern. Das wohl Bekannteste ist das nie vollendete Bauwerk Sagrada Família, welches heute noch im Andenken des Architekten weitergebaut wird.

Doch was macht Gaudis Baustil so einzigartig und seine Architektur so besonders? Gaudis Werke sind geprägt und beeinflusst von vielen Elementen der Natur. So sind die Formen der Säulen von Bäumen inspiriert und man entdeckt neben vielen christlichen Elementen auch Formen und Nachempfindungen von Flora und Fauna. An vielen Stellen, zum Beispiel der großen Eingangstür der Kathedrale, sind Tiersymbole montiert, um die Verbindung des Baustils zur Natur herzustellen. Und das hat einen Grund. Gaudi litt seit seiner Kindheit an einer rheumatischen Erkrankung, was dazu führte, dass er, statt mit anderen Kindern zu spielen, unentwegt die Natur beobachtete und sich von ihr inspirieren ließ.

Diese Erkrankung war später auch der Grund, warum sich Gaudi streng vegetarisch ernährte. Seine fleischlose Ernährungsweise lässt sich auf eine gesundheitliche Empfehlung des Mediziners Sebastian Kneipp zurückführen und sorgte dafür, dass er trotz seiner Erkrankung 73 Jahre alt wurde. Antoni Gaudis Liebe zu allem Lebendigen hat es ihm ermöglicht, mit seinen architektonischen Meisterwerken einen großen Beitrag zur modernen Kultur unserer Zeit beizutragen.

Auf den Weg zu veganen Ufern

Barcelona hat von Natur aus viel Potential für eine vegane Metropole. In der ganzen Stadt wird frisches und regionales Gemüse feilgeboten und man bekommt hier die reifsten Südfrüchte zu einem unglaublich günstigen Preis. Neben Oliven, Artischocken, Avocados und Tomaten ist die Region um Katalonien vor allem für seine aromatischen Nektarinen und Orangen bekannt. Sie repräsentieren hier das Aroma des mediterranen Raumes.

Wer sich von der Fülle und Reichhaltigkeit regionaler Gemüse- und Obstsorten überzeugen möchte, besucht am besten mindestens einmal die Boqueria – Barcelonas größte Markthalle, erbaut auf dem Gelände des ehemaligen Klosters St. Josep. Frisch gepresste Säfte, regionale Spezialitäten, exotische Gemüsesorten und Berge von Nüssen und Schalenfrüchten warten hier darauf, in Augenschein genommen zu werden. Wer selbst gern kocht, der kommt in Barcelona ganz auf seine Kosten. Aber auch für Auswärtsesser wird einiges geboten. Einige Viertel, vor allem die alternativen Wohngebiete wie El Born und El Raval, haben Restaurants mit veganen Alternativen oder gleich zwei drei rein vegane Lokale zu bieten.

la boqueria Markt Barcelona

Wer nachts in Barcelona unterwegs ist, findet an jeder Straßenecke Tapas. Tapas, zu spanisch »Deckel«, sind kleine Häppchen, die man in Barcelona in jeder Bar üblicherweise mit Wermut angeboten bekommt. Speziell für Veganer dürften die typisch katalanischen Oliven, patatas bravas (frittierte Kartoffelwürfel mit scharfer Soße) oder das pan con tomate, ein mit Tomaten bestrichenes Brot, zum Wein nicht fehlen. Viele Restaurants bieten aber auch vegane Alternativen an, wie zum Beispiel Pizza mit veganem Käse. Wer es hingegen komplett vegan mag, der geht in die Bar Celoneta, der Tapas-Bar, im Hafenviertel und bekommt dort neben ein paar ordentlichen Sangrias auch eine große Palette veganer Tapas.

Die vegan/vegetarische Bewegung steht hier in Barcelona erst am Anfang seiner Blüte, bewegt sich aber mit großen Schritten auf einen ebenso ausgeprägten Trend wie in Deutschland zu. So hat der Stadtrat Barcelonas am 22. März die Metropole offiziell zur veggie und vegan freundlichen Stadt erklärt. Ausschlaggebend dafür war der Antrag der Partei der republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und der intensiven Arbeit der schweizerischen Franz Weber Stiftung sowie der vor Ort ansässigen NGO Asociación Animalista Libera.

Durch diesen Antrag werden nun verschiedene Maßnahmen vom Rathaus unternommen, um die Verbreitung der vegetarischen und veganen Kultur in der Stadt zu fördern. Zum einen wird das Rathaus einen Veg-Guide inkl. eigener App herausgeben, um Besucher Stadt und die Katalanen selbst besser über fleischfreie Möglichkeiten zu informieren. Des Weiteren soll ein Barcelona VegPoint, ein Ort zur Förderung des vegan/vegetarischen Vereinslebens und Business in der Stadt geschaffen werden. Außerdem wird nun auch hier der »meatless monday« (fleischfreie Montag) in öffentlichen Einrichtungen eingeführt. Eine Kampagne, die von Sir Paul McCartney ins Leben gerufen wurde, um durch die Verbreitung einer fleischfreien Ernährungsweise das Weltklima zu schützen. All diese Maßnahmen, welche erstaunlicherweise von offizieller Stelle, nämlich dem Rathaus selbst, ausgehen, werden in Barcelona in naher Zukunft einen echten veganen Boom auslösen.

Auch Leonardo Anselmi, Direktor der Franz Weber Stiftung für Südeuropa sieht positiv in die Zukunft:

»Wir erwarten ein großes veganes Wachstum in Barcelona. Die steigende Anzahl an veganen Alternativen wird zweifellos sehr viel Aufmerksamkeit in Richtung der politischen Sichtweise lenken und dazu führen, dass Tiere vermehrt als Subjekte mit Rechten wahrgenommen werden und noch mehr Menschen es ablehnen, sich an der Ausbeutung dieser, und der damit einhergehenden Umweltzerstörung, zu beteiligen.«

corrida – Geist einer grauenvollen Vergangenheit

Wenn wir Barcelona in aller Ausführlichkeit für seine vegane Bewegung und seine mutigen Schritte in eine tierausbeutungsfreie Zukunft loben, dürfen wir eines nicht unerwähnt lassen: die schlimmste aller menschlichen Traditionen – den spanischen Stierkampf (corrida de toros). Kaum ein anderes Spektakel ist sinnloser und grausamer als das die zur Schau gestellte Hetzjagd, welche die Matadors (spanisch für Schlächter) und deren Zuschauer diesen großartigen Tieren antun.

Während die spanische Krone den Stierkampf unverständlicherweise zum immateriellen Kulturgut erklärt, tut sich Barcelona auch hier als zukunftsweisend hervor und hat, auf Grundlage eines Volksbegehrens mit 180.000 Unterschriften, den Stierkampf in der gesamten Region Kataloniens am 1. Januar 2012 verboten!

Barcelona hat damit nicht nur mit einer jahrtausendalten Tradition aus Gründen der Ethik und der Vernunft gebrochen, sondern weiß auch, wie man die zurückgebliebenen Stierkampfarenen sinnvoll weiter nutzt. So wurde »Las Arenas« zu einem großen Einkaufszentrum ausgebaut. »Monumental de Barcelona« die zweite große Arena, dient heute nur mehr als Museum für eine ausgestorbene und sinnlose Tradition. An diesem Ort wird die Kampfansage »Tierausbeutungsstätten zu Museen« zur erfahrbaren Realität. Wir haben Monumental de Barcelona besucht, um einen Eindruck dieses vergangenen Kapitels in der Geschichte Barcelonas zu bekommen.

Betritt man die Eingangshallen dieser nun mehr leeren Stätte umweht einen der kalte Hauch einer grauenvollen Vergangenheit. Der graue Putz bröckelt von den Wänden und die lichtarmen Treppenaufgänge des Bauwerks treiben feuchte Luft durch die Gänge. Dort wo früher lautes Getöse von Tausenden von Menschen zu hören war, ist nun Stille. Man verfällt in Andacht. Nicht an die Tradition, sondern an die Opfer derselben. Die letzten Werbeplakate, zerknittert und mitgenommen von der Zeit, erinnern an die blutrünstigen Veranstaltungen. Unverständnis macht sich breit und doch sind die Parallelen zur heute noch durchgeführten Tierquälerei in Manege und Zirkuszelt unverkennbar.

Vorbei an den Stallungen der Stiere stockt einem der Atem. Mehrere Zentimeter dicke nummerierte Stahltore verschließen stockfinsteren Kammern, in denen die Stiere vor dem Kampf eingepfercht werden. Sie erinnern einen unweigerlich an Bilder anderer Zeiten.

Betritt man den gelben Sand der Arena und schaut von unten auf die aufgereihten Sitze der Ränge kommt man sich ganz klein und hilflos vor. Diese Schau des Schreckens muss die Opfer in den Wahnsinn getrieben haben und letztendlich in den sicheren Tod. Delegats Covernatius (Regierungsvertreter) und Primas (Presse) prangt es in abgeblätterten weißen Lettern auf den feuerrot lackierten ersten Rängen der Arena. Es verdeutlicht, welchen gesellschaftlichen Rückhalt diese sinnlose Tradition in der Vergangenheit und auch heute noch in Spanien und Frankreich erfährt.

Doch Traditionen können aussterben und Platz machen für neue, von Verantwortung getragene Ideen, wie dem Veganismus. Barcelona ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Diese Stadt erfindet sich immer wieder neu und es bleibt zu hoffen, dass wir noch erleben, wie auch Schlachthöfe hier zu Museen werden.

  • Stierkampfarena Monumental
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Barcelona macht süchtig

Es ist nicht die südländische Sonne, nicht die großen Einkaufspassagen und auch nicht die spanische Meeresluft, welche diese Stadt zu dem macht, was sie ist. Es ist vielmehr die offene und lockere Mentalität der Katalanen, die sich selbst in der Wirtschaftskrise das Lächeln nicht nehmen lassen und nach dem guten Leben streben. Es ist der politische Geist in den Gassen von El Raval, der die Stadt verzaubert und vorantreibt. Es sind all die jungen und talentierten Menschen, die mit ihren Instrumenten und ihrer Stimme die Stadt jede Nacht zum Leben erwecken. Und am Ende des Tages ist es das Gefühl mehr zu wollen, von diesen Menschen und von dieser Stadt. Barcelona macht süchtig.

Reisebericht und Fotos: Daniel Schneider