»Clemens Georg Arvay ist eindeutig der militanten Tierrechtsszene zu-zuzählen. In einem Literaturforum postete er am 7.12.2005 einen Beitrag zum Thema ›Veganismus‹. […] Nach der Verdachtslage hat der Beschuldigte die Verbrechen der schweren Sachbeschädigung, der schweren Nötigung und der kriminellen Organisation nach §§ 125, 126 Abs. 2; 105 Abs. 1 , 106 Abs. 1 Z 1; 278 a STGB begangen. […] Die Staatsanwaltschaft Wiener Neu-stadt ordnet die Observation des Clemens Georg Arvay an.« (Aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt an das Landeskriminal-amt Wien vom 3.4.2008)

Besuch von der Kripo
April 2008. Ich war 27 Jahre alt und hielt mich gerade in Graz auf, als es an der Wohnungstür läutete. Draußen standen eine Kriminalbeamtin und ihr Kollege. Ohne nähere Angaben zu machen forderten sie mich auf, sie zur Landespolizeidirektion zu begleiten. Im festen Glauben, dass es sich nur um ein Missverständnis handeln konnte, das sich im Handumdrehen auflösen lassen würde, kam ich mit. Doch ich hatte mich geirrt. Es folgte ein stunden-langer, quälender Verhör, in dem mich die beiden Polizisten ununter-brochen mit dem Verdacht konfrontierten, in einer Art terroris-tischem Akt im April 2007 ein Auto beschädigt zu haben, das dem Inhaber des österreichischen Bekleidungsunternehmens »Kleider Bauer« gehörte. Dieses Fahrzeug war offenbar mit Farbe überschüttet worden und ich wurde beschuldigt, für diese Handlung verantwortlich zu sein. Mein Motiv, so die Theorie der beiden Beamten: Ich wollte die Firma zum Ausstieg aus dem Handel mit Tierpelzen bewegen.
Für diese Beschuldigung legten mir die Polizisten folgende Belege vor:
Ich hatte am 4.4.2007 Kontakt zu einer Telefonnummer, die zur vermeintlichen Tatzeit in der Peter-Jordan-Straße im 19. Bezirk in Wien registriert war, offenbar in der Nähe des Tatorts. Ich stand in telefonischem Kontakt mit zwei Tierrechtlern, die sich mit ihrem Verein gegen Tier-fabriken (VgT) für die Abschaffung des Handels mit Tierpelzen einsetzten.
Ich hatte drei Jahre zuvor in einem Literaturforum im Internet einen Beitrag über vegane Ernährung verfasst. Während der gesamten darauf-folgenden Entwicklungen und Geschehnisse, die sich über Monate er-streckten, führten Polizei und Staatsanwaltschaft kein einziges weiteres Indiz gegen mich an, auf das sie ihre Beschuldigungen stützen konnten. Für mich waren die genannten Indizien nichts weiter als warme Luft. Und ich glaubte, sie noch im ersten Verhör vom Tisch wischen zu können. Zum Tatzeitpunkt wohnte ich im 19. Wiener Bezirk und die Institute der Universität für Bodenkultur, wo ich Pflanzen-wissenschaft studierte, waren rund um die genannte Peter-Jordan-Straße verstreut. Diese Gegend war mein Lebensmittelpunkt. Als mir die Beamten die Telefonnummer vorlegten, die ich angerufen hatte, traute ich meinen Augen kaum. Es handelte sich um die Nummer meiner damaligen Lebens-gefährtin, die ihren Hauptwohnsitz ebenfalls nahe der Peter-Jordan-Straße hatte. Dass ich mit ihr telefoniert hatte, war also völlig unverdächtig, zumal sie selbst in keinerlei Zusammenhang mit der Farbattacke gebracht wurde. Ich war fassungslos, denn die Polizei hatte durch diesen Verbindungs-nachweis nichts anderes belegt als dass ich mich an meinem Wohnort aufhielt und dort mit meiner Freundin telefonierte.
Mein angeführter Kontakt zu den beiden Tierrechtlern war damals rein privat. Abgesehen davon konnte ich nicht einsehen, wieso ich mich durch Gespräche mit Tierrechtlern verdächtig machte. Und dann der Beitrag über vegane Ernährung im Literaturforum – was sollte ich dazu überhaupt sagen? Ich konnte seine Relevanz nicht erkennen, doch während des Verhörs bliesen die beiden Beamten mein darin geäußertes Interesse für Veganismus immer wieder zu einem Nachweis meiner Militanz auf. Nach etwa drei Stunden der Zermürbung hatten sie mich so weit, dass ich sogar der Abnahme einer Speichelprobe für eine DNA-Analyse zustimmte – und das wegen eines Autos, das mit Farbe bekleckert wurde! Ich wollte das vermeintliche »Missverständnis« dadurch endlich aufklären. Aber das sollte mir erst zwei Jahre später gelingen.
Fast könnte man diese Begebenheit als Satire abtun. Doch was mich an jenem Tag heimsuchte, war nur ein Vorbeben, ein erster seismografischer Ausschlag, der ein viel größeres Erdbeben von verheerendem Ausmaß ankündigte, welches die österreichische Tierschutzbewegung noch erschüttern sollte.
Die Nacht des großen Überfalls
In der Nacht von 20. auf 21. Mai 2008 brachen schwarz vermummte Polizisten der Sondereinheit WEGA mit geladenen Maschinengewehren und Rammböcken in die Wohnungen von 32 Tierrechtlern ein – vor allem in Wien, aber auch in anderen österreichischen Bundesländern. Die Beamten stürmten die Privaträume der Frauen und Männer, rissen die schlafenden Bewohner aus ihren Betten und stellten sie mit der Pistole im Genick an die Wand. Sie durchsuchten die Wohnräume und hinterließen Verwüstung. Diese Szenen mussten sogar Kleinkinder miterleben. Zehn der 32 wurden im Rahmen dieser Razzia verhaftet. Ein mir persönlich bekannter Familienvater wurde vor den Augen seiner schockierten Kinder in Handschellen abgeführt – ohne die Möglichkeit, sich von ihnen zu verabschieden!
Und dann erlebten die zehn Inhaftierten in vollem Ausmaß, was sich bei meiner vorangegangenen Einvernahme bereits in Konturen abgezeichnet hatte: Stund um Stund, die ganze Nacht und am darauffolgenden Tag, schlugen sie sich durch die Verhöre, im festen Glauben, das »Missverständnis« aufklären und das Gefängnis am nächsten Abend verlassen zu können. Denn die Beamten legten ihnen ähnlich haltlose »Belege« wie bereits in meinem Fall vor, um ihre angeblichen kriminellen Machenschaften nachzuweisen. Die Teilnahme an legalen Kundgebungen gegen die Pelzindustrie wurde als schwer belastend ausgelegt – ebenso wie das Versenden von E-Mails mit dem Ziel, die Firma Kleider Bauer zum Ausstieg aus dem grausamen Geschäft mit Tierpelzen zu motivieren. Die Absender dieser vermeintlich »kriminellen« E-Mails traten völlig offen unter ihren Klarnamen auf und informierten die Geschäftsleitung über die geplanten – und gesetzeskonform angemeldeten! – Kundgebungen. Dieser Versuch, die Verantwortlichen noch im Vorfeld zum Umdenken zu animieren, wurde als schwere Nötigung und Erpressung ausgelegt: Die Ankündigung legaler Kundgebungen – eine verbrecherische Drohung?
Bei einem der Verhafteten wurden Spritzen gefunden – zur medizinischen Behandlung seiner Katzen. Diese Spitzen sollten Indizien für durchgeführte Buttersäureanschläge in Pelzgeschäften sein. Der durch die Polizei sicher-gestellte Bolzenschneider, den ein Skulpturenkünstler für seine Arbeit benötigte, wurde als Beleg für die Beteiligung an Einbrüchen gewertet, denn: »ein Künstler hat keinen Bolzenschneider, ein Künstler hat Pinsel« – so soll die mündliche Mitteilung an den Beschuldigten während des Verhörs gelautet haben. Verwaltungsübertretungen wie das unerlaubte Filmen einer Treibjagd in einem Jagdgehege oder das Entrollen von Transparenten von den Dächern einer Tierfabrik wurden zu kriminellen Machenschaften aufgeblasen, jedwedes zivile Engagement gegen Tierausbeutung als Beleg für Militanz gewertet. Ein Naturfreund wurde mit dem Brand in einer Jagdhütte in Verbindung gebracht, weil er in dem betreffenden Waldgebiet geortet wurde – beim Wandern. Der Brand entpuppte sich kurz darauf als gewöhnlicher Unfall. Das Kaminfeuer war durch die Jäger nicht sachgemäß gelöscht worden.
Die kriminelle Organisation
Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, wie schwer es ist, sich gegen diese haltlosen Schuldkonstruktionen zur Wehr zu setzen. Ich ertappte mich während des Verhörs dabei, wie ich den Polizisten lang und breit zu vermitteln versuchte, dass meine Aufgeschlossenheit gegenüber Veganis-mus kein Indiz für Militanz oder Kriminalität war, ebenso wenig wie mein Interesse für Tierrechte. Doch ich bemerkte bald, dass die Beamten, die mich in die Mangel genommen hatten, in einem sonderbaren »Parallel-universum« lebten. Für sie waren Tierrechte und Veganismus nicht nur etwas völlig Fremdes, sondern per se verdächtig und militant. Die Chef-inspektorin äußerte mehrmals, dass sie vegan lebende Menschen als »extrem« betrachte und kein Verständnis dafür habe, wenn Tierrechtler ihre Positionen den anderen durch öffentliche Kundgebungen »auf-zwingen«. Denn »jeder soll so leben wie er möchte«. Schön und gut, aber was hatten solche persönlichen, ideologischen Feststellungen in meinem Verhör zu suchen? Und vor allem: inwiefern sollten sie meine kriminelle Schuld belegen? Ich realisierte, dass ich es mit keinem gewöhnlichen Verhör zu tun hatte, sondern mit Gesinnungsverfolgung. Die Polizisten, die mir gegenübersaßen, hätten Tierrechtsaktivisten offenbar am liebsten für immer hinter Gittern gesehen. Daran bestand für mich nun kein Zweifel mehr.
Noch viel dramatischer bekamen das die zehn inhaftierten Tierrechtler zu spüren. Alle Anstrengungen ihrer Anwälte, sie aus der Gefangenschaft zu befreien, schlugen fehl. Selbst als der bereits erwähnte Brand in einer Jagdhütte sich als gewöhnlicher Unfall entpuppte wurde der beschuldigte Tierrechtler nicht freigelassen. Die Staatsanwaltschaft argumentierte mit dem Paragraph 278a, der eigentlich zur Verfolgung krimineller Organi-sationen verfasst wurde. Bei der Anwendung dieses Paragraphen ist es nicht mehr relevant, ob jemand eigenhändig Verbrechen begeht oder nicht. Das Gesetz bietet eine Handhabe gegen mafiöse Gruppierungen, Menschen-händler und Terroristen, die durch ihre Aktivitäten ein kriminelles Netz-werk mit Arbeitsteilung bilden, bei dem sich nicht jeder einzelne die Hände schmutzig macht. Die Anwendung des Paragraphen 278a auf unbequeme Tierschutzgruppen ist nicht nur widersinnig, sondern skandalös. Diese Strategie hatte aber zur Folge, dass die Beschuldigten für 105 Tage in Untersuchungshaft festsaßen und der Albtraum für sie noch lange kein Ende finden sollte. Durch ihr Engagement gegen die Pelztierhaltung – so die Staatsanwaltschaft – hätten sie andere Aktivisten zu Strafhandlungen animiert. Sie wurden also für die Taten von Unbekannten verantwortlich gemacht. Und zu diesem Zweck zimmerte sich die Staatsanwaltschaft nach eigenem Belieben eine Organisationsstruktur zurecht, die in der Realität nicht bestand. Angehörige verschiedener Tierrechtsorganisationen sowie einzelne Tierschützer sollten gemeinsam und arbeitsteilig das kriminelle Netzwerk bilden. Und ich war einer davon.
Die Polizisten, die mir gegenübersaßen, hätten Tierrechtsaktivisten offenbar am liebsten für immer hinter Gittern gesehen. Daran bestand für mich nun kein Zweifel mehr.
Der große Lauschangriff
Noch während die zehn Hauptbetroffenen in Untersuchungshaft festgehalten wurden stellte ich fest, dass ich nach wie vor beschuldigt wurde, Teil einer kriminellen Organisation zu sein. Ich sei »eindeutig der militanten Tierrechtsszene zuzuordnen«, hieß es in einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt an das Landeskriminalamt Wien. Mein Beitrag über vegane Ernährung im Literaturforum sowie mein tele-fonischer Kontakt zu zwei Tierrechtlern reichten dem Staatsanwalt für diese Anschuldigung aus. Später wurde noch behauptet, ich hätte an einer Kundgebung gegen den Stierkampf vor der spanischen Botschaft in Wien teilgenommen – ein völlig legitimer Protest, den die meisten Menschen unterstützen würden. Wie verdreht muss die Wahrnehmung eines Staatsanwaltes oder Polizisten sein, der die Kritiker des blutigen Stierkampfes als militant, also als gewalttätig beschreibt, anstatt die Verantwortlichen für den Stierkampf? Tatsächlich war ich aber nicht auf dieser Veranstaltung. Die Polizei glaubte, ich sei an dieser Kundgebung beteiligt gewesen, weil ich zuvor während eines abgehörten Telefonats von einem Freund dorthin eingeladen worden war. Ich antwortete ihm, dass ich, sofern es mir zeitlich möglich sei, gerne kommen würde. Doch es war mir nicht möglich. An diesem Beispiel offenbart sich, wie dilettantisch die Polizei ihre »Ermittlungen« in dieser Causa durchgeführt hatte. Doch dieses flüchtig zusammengeschusterte Kartenhaus aus Vorurteilen und nicht haltbaren Behauptungen reichte aus, um die staatliche Bespitzelung im vollen Umfang in Gang zu setzen. Ich verlangte Akteneinsicht und stellte fest: Meine Telefongespräche waren wochenlang abgehört und mein SMS-sowie E-Mailverkehr festgehalten worden.
Ich war persönlich observiert worden. Es wurde eine Kameraüberwachung vor meiner Wohnung angeordnet. Nach und nach zeigte sich das er-schreckende Ausmaß des Staatsterrors gegen den Tierschutz: Große Teile der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung in Österreich waren in einem gigantischen Lauschangriff bespitzelt worden. Neben der Aufzeichnung von Telefongesprächen und E-Mailverkehr, persönlichen Observierungen und Videoüberwachungen war es zur Anbringung von Peilsendern an Autos und Wanzen in den privatesten Räumen gekommen – bis in die Schlaf-zimmer. Sogar eine Richterin, die zuvor Strafbescheide gegen Tierschützer wegen Jagdstörung in der Höhe von 200,- Euro aufgehoben hatte, wurde abgehört. Es wurde immer deutlicher, dass der Tierschutz-aktivismus irgendjemandem im Staat Österreich ein großer Dorn im Auge war – irgendjemandem mit Einfluss und Macht.
Der große Lauschangriff begann bereits im April 2007 nach der Farbattacke auf das Auto der Firma Kleider Bauer und verschluckte mehrere Millionen Euro Steuergelder. Ebenfalls ab 2007 war eine verdeckte Ermittlerin in die Tierrechtsszene eingeschleust worden, die in hohem Maße das Vertrauen der Aktivistinnen und Aktivisten gewann. Sie ging sogar eine Liebes-beziehung mit einem der Beschuldigten ein, der später verhaftet wurde. Sie besorgte DNA-Proben von Tierrechtlern und nahm an den gemeinsamen Aktionen teil. In eineinhalb Jahren Spionage konnte sie keinen einzigen Beweis für irgendwelche kriminellen Aktivitäten der Beschuldigten erbringen. Auch der große Lauschangriff blieb ohne belastende Ergebnisse. Dennoch kam es zu den Verhaftungen mit 105 Tagen Freiheitsentzug und zu einem Gerichtsverfahren, das internationales Aufsehen erregte.
Bereits für mich stellte die massive Verletzung meiner Privatsphäre durch die Behörden und ihr Eindringen in meine persönlichsten Lebensbereiche durch die Bespitzelung eine psychische Belastung dar, die mich einige Zeit verfolgte. Wie muss es erst den Hauptbetroffenen ergangen sein, die bis in ihre Schlafgemächer und Badezimmer verfolgt und in einem Fall sogar Opfer von vorgespielter Liebe durch eine verdeckte Ermittlerin wurden?
Das Zermürbungsverfahren
Etwa zwei Jahre lang führte ich im Schatten des großen Skandals meinen persönlichen Kampf gegen die unfassbare Beschuldigung, einer kriminellen Organisation anzugehören. In dieser Zeit kam es zu weiteren Verhören. Die Hartnäckigkeit der Behörden war angesichts der mageren Indizienlage mehr als beachtlich. Im Frühjahr 2010 wurde ich schließlich darüber informiert, dass alle Anschuldigungen mir gegenüber fallengelassen wurden.
Zur selben Zeit begann am Landesgericht Wiener Neustadt das Gerichtsverfahren gegen 13 Tierrechtlerinnen und Tierrechtler, darunter die zehn, die dem nächtlichen Überfall durch die Polizei zum Opfer gefallen waren. Das Verfahren dauerte 14 Monate und soll nach Angabe eines verteidigenden Anwalts insgesamt sieben Millionen Euro gekostet haben. Der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm »Der Prozess« des Regisseurs Igor Hauzenberger zeichnet ein umfassendes Bild des zermürbenden, schier endlosen Gerichtsverfahrens. Zunächst fiel den Prozessbeobachtern die parteiische Verfahrensführung durch die Richterin auf. Die Anklage verstrickte sich in zahlreiche Widersprüche, was aufgrund der dilettan-tischen Beweisführung nicht überraschend war. Bis zum Ende des Prozesses vertuschte der Staatsanwalt den Einsatz der verdeckten Ermittlerin, die nur Entlastendes in Erfahrung bringen konnte, jedoch nicht die Belastungsbeweise, die er so dringend benötigt hätte, um die Tierrechtler dorthin zu befördern, wo er sie wohl gerne gesehen hätte: hinter Gittern. Erst ein von der Verteidigung engagierter Privatdetektiv deckte den Einsatz der verdeckten Ermittlerin auf. Ihre durchwegs entlastenden Aussagen, gepaart mit den unzähligen haltlosen Indizien, führte schließlich zu einem Umschwenken der Richterin in ihrem Verhandlungsstil. Dieses Umschwenken wurde von Prozessbeobachtern registriert und dokumentiert. Und sie sollten mit ihren Beobachtungen Recht behalten. Am 2. Mai sprach die Richterin alle Angeklagten in allen Punkten frei. Daraufhin wurde sie in die Abteilung der Haftrichterschaft versetzt und darf keine Hauptverhandlung mehr führen. Ihre Entscheidungskompetenzen wurden auf die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft und die Auslieferung degradiert. Ganz anders sah es hingegen für den federführenden Staatsanwalt aus. Er wurde zum Ersten Staatsanwalt Wiener Neustadts und später zum obersten Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt befördert. Ausgerechnet! Der Leiter der dilettantisch ermittelnden Sonderkommission wurde zum Leiter des Wiener Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung befördert.
Aufsehen erregte auch ein Vorfall mit einem anderen Staatsanwalt in Wiener Neustadt. Am Tag des Freispruches erschien er an einem Fenster, streckte den Arm in die Richtung der feiernden Tierrechtler unten am Parkplatz, und deutete eine Schussbewegung an. Pech für ihn: Eine Kamera des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks (ORF) hielt den Vorfall mittels Teleobjektiv fest und zeigte die verstörende Szene im Hauptabendprogramm.
Verfolgung auf Bestellung?
Am Beginn der Ermittlungen gegen die Tierrechtler stand im April 2007 eine Farbattacke gegen zwei Autos, die im Besitz der Inhaberfamilie der Firma Kleider Bauer waren. Zu dieser Handlung bekannten sich anonyme Täter unter dem Pseudonym »A.L.F.« (Animal Liberation Front). Aus dem Bekennerschreiben ging die Forderung hervor, den Pelzverkauf einzu-stellen und es wurden bei Nichtbefolgung weitere Aktionen angedroht. Der Geschäftsführer von Kleider Bauer, Peter Graf, rief unmittelbar nach diesem Vorfall direkt im österreichischen Innenministerium an. Bereits einen Tag darauf beschlossen hohe Bedienstete des Innenministeriums die Einrichtung einer eigenen Sonderkommission, die als »Soko Bekleidung« bezeichnet wurde. Als Zielgruppe der Ermittlungen wurden die bereits bekannten Tierrechtsaktivisten definiert, die seit Jahren in ganz Österreich angemeldete Kundgebungen gegen die Pelzindustrie durchführten. Über diesen Vorgang berichtete später die österreichische Tageszeitung »Der Standard« unter der Überschrift »Kleider Bauer wünschte eine Soko und bekam sie«.
Nur einen weiteren Tag darauf verfasste der spätere Leiter der Sonderkommission eine E-Mail an ranghohe Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes, aus der hervorgeht, dass es »keine Beweise für eine Täterschaft der Demonstranten« und »keinerlei Tatverdacht« gäbe. Daher müsse jetzt »strukturiert und zielgerichtet vorgegangen werden«. Der Inhalt dieser E-Mail wurde durch das österreichische Politmagazin NEWS unter der Überschrift »Die Anatomie eines Polizei-Skandals« veröffentlicht.
Kritiker sehen in diesen Abläufen eindeutige Indizien dafür, dass die Lauschangriffe und Verfolgungen gegenüber Tierrechtlern politisch motiviert und nicht kriminalistisch indiziert waren. Einer der verteidigen-den Anwälte zeigte vier federführende Polizisten und den Staatsanwalt wegen Amtsmissbrauch an. Alle diese Verfahren wurden eingestellt. Derzeit ist der sogenannte »Tierschutz-Skandal« Gegenstand eines neu gestarteten parlamentarischen Untersuchungs- verfahrens. Der erste geladene Zeuge, der damalige Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, sagte bereits aus, dass seiner Beobachtung nach rund um die Ermittlungen und das Verfahren »seltsame Dinge« vorgefallen seien. Für ihn sei der Einsatz des »Mafiaparagraphen« (Paragraph 278a, kriminelle Organisation) »nicht nachvollziehbar« und »der Anfang des Übels« gewesen. Erst durch den Rückgriff auf dieses Gesetz war es möglich, Personen mit fadenscheinigen Begründungen zu bespitzeln, in Untersuchungshaft zu stecken und vor Gericht zu stellen, denen keinerlei Verwicklung in strafrechtliches Handeln nachgewiesen werden konnte. Und dann ist es wohl auch für die ermittelnden Behörden und die Staatsanwaltschaft »blöd gelaufen«, denn wer solche Register zieht und Millionen an Steuergeldern verprasst, gerät unter Zugzwang. Ich schließe mich der Meinung vieler Prozessbeobachter an: Der Prozess musste durch die Staatsanwaltschaft mit allen Mitteln durchgezogen werden, um den vorangegangenen Ermittlungsaufwand, die hohen Kosten und die massiven Eingriffe in die Privatsphäre unbeschol-tener Bürger zu rechtfertigen.
Die Freigesprochenen hinterlässt der Justizskandal mit einem hohen Schuldenberg. Pro Betroffenem fielen einige Hunderttausend bis eine Million Euro an Anwaltskosten an, die von den Betroffenen getragen werden müssen. Der »Schadensersatz« durch den Staat, der die Kosten verursacht hat, belief sich auf 1.250 Euro pro Person. Ein Skandal im Skandal.
Peter Graf, der Geschäftsführer der Firma Kleider Bauer, äußerte öffentlich, dass sein Unternehmen niemals aus dem Pelzverkauf aussteigen werde. Das Unternehmen verkauft weiterhin Kleidungsstücke mit Pelzkrägen und Pelzverbrämungen. Diese stammen unter anderem aus China. Die grau-samen Zustände in Pelztierfarmen überall auf der Erde, auf die auch Zoologen immer wieder hinweisen, lassen Graf offenbar kalt. Das ist bedauerlich, denn der Verzicht auf Pelz würde das ökonomische Bestehen des Unternehmens nicht gefährden, wie Graf im Laufe des Verfahrens selbst aussagte.
Aber jetzt sind alle Augen auf den parlamentarischen Untersuchungsausschuss gerichtet und ein derartiger Skandal darf nie wieder passieren. Und eines kann ich den beteiligten Herren und Damen, den Verfassern solcher Drehbücher der Unterdrückung, versprechen: Menschen, die ihre Stimme für die Tiere erheben, lassen sich nicht so leicht mundtot machen. Der Tierschutz-Skandal hat ein enormes Potenzial der Solidarität in der Bevölkerung mit dem Tierschutz offengelegt. Immer weniger Menschen nehmen die Ausbeutung von Tieren zu ökonomischen Zwecken hin, und dieser wachsende Widerstand lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Niemals.